„Ihr drei, wir drei – Herr, erbarme Dich unser!“

■ Die Volksweisheiten eines jeden Volkes bringen in der Regel ja einen bestimmten moralisch relevanten Sachverhalt zur Sprache, wobei u.a. auch durch gelegentlich anzutreffende Übertreibungen in der Erzählung der Blick des Lesers zusätzlich auf die eigentliche Aussage gelenkt werden soll. Dabei kann es sich um kurze Redewendungen und Lebenssprüche oder auch um ganze leerreiche Geschichten handeln.
So wurde ich kürzlich mit einer solchen Geschichte eines osteuropäischen Volkes konfrontiert. Auf einem kleinen Schiff, welches über einen größeren See fuhr, befanden sich neben der Schiffsbesatzung noch ein älterer und zwei jüngere Mönche, dem Anschein nach Novizen. Die Matrosen und der Kapitän begegneten ihren Gästen, und hier besonders dem älteren Mönch, mit großem Respekt.
Dann kam das Schifflein an einer Insel in jenem See vorbei und die Besatzung fing an, sich mit besonderen Blicken auf diese Insel intensiv untereinander zu unterhalten. Dies fiel dem älteren Mönch auf und so fragte er sie nach dem Grund für ihre doch wahrzunehmende Aufregung. Sie erzählten dann den Mönchen, dass auf dieser Insel drei heilige Männer leben würden. Die Matrosen hätten diesen drei Männern in der Vergangenheit sowohl eigene Gebetsanliegen überbracht als auch manche Anliegen von anderen Menschen. Und es sei auf die Fürbitte dieser drei Männer bereits zu etlichen auffallenden Gebetserhörungen gekommen als auch seien da sogar Wunder geschehen.
Der ältere Mönch, der durchaus würdig und keinesfalls irgendwie arrogant erschien, meinte dann, ob diese drei Männer denn wirklich Heilige seien, denn er selbst habe schon viele Klöster besucht und dabei noch nie einen wirklich Heiligen getroffen, in Bezug auf welchen es keine andere, abweichende Meinung gegeben hätte. Und somit sei die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass ausgerechnet drei einfache Laienmänner auf irgendeiner Insel lebend eben solche echten Heiligen seien. Aber er bat den Kapitän, an dieser Insel anzulegen, damit er mit seiner doch wirklich beträchtlichen Erfahrung im geistlichen Leben die betreffenden drei Männer treffen und sprechen könne.
Sie legten an der Insel an und die Mönche samt der Schiffsbesatzung gingen zu der Hütte jener drei Männer. Diese liefen den Gästen entgegen und man sah, wie ärmlich sie gekleidet waren. Statt Schuhen hatten sie aus Stroh geflochtene Sandalen an den Füßen und statt Hosen und Strümpfen waren irgendwelche Stoffbinden um die Beine gebunden. Sofort sah man auch, wie einfach im Geist und im Denken sie waren – ganz einfache bzw. vielleicht sogar einfältige Männer aus dem Volk.
Der Mönch erkundigte sich bei ihnen nach ihrem Glaubenswissen. Sie sagten, sie hätten halt schon als Kinder viel arbeiten müssen und hatten so kaum Gelegenheit, den Katechismus zu lernen. Aber sie wüssten, dass es Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiligen Geist gibt. Ein oder zwei Mal im Jahr komme zu ihnen ein Priester von einem Ort am Seeufer und nehme ihnen die Beichte ab und reiche ihnen die hl. Kommunion.
Und wie würden sie denn beten? Nun, durch einen Sturm auf dem See seien sie als Matrosen auf einem Schiff dem Tod nahe gekommen und da hätten sie in ihrer Not zu Gott gebetet und eben ein Versprechen abgelegt, dass sie an jenem Flecken Erde bleiben und in Einkehr leben würden, wohin es sie nach der erhofften Rettung an Land verschlagen sollte. So würden sie nun seit etlichen Jahren auf dieser kleinen Insel leben und ihr Gebet bestünde eigentlich nur in der einen und sich wiederholenden Bitte: „Ihr drei, wir drei – Herr, erbarme Dich unser!“
Der Mönch schüttelte schon etwas den Kopf über so wenig Wissen über den Glauben und dieses einfältige Gebet. Er lehrte sie dann das Vaterunser beten, wie der Herr Jesus es uns ja zu beten gelehrt habe, und ließ es von ihnen zwei-drei Mal wiederholen. Und nachdem er ihnen den priesterlichen Segen gegeben hatte, den sie ehrfürchtig empfingen, ging er mit seinen zwei Begleitern samt der Besatzung zum Schiff zurück. Dieses legte ab und sie setzten ihre Reise auf dem See fort.
Dieser Mönch sann dann weiter über das, was er gerade gesehen und gehört hatte, nach und kam für sich zum Schluss, dass diese drei Männer zwar gottesfürchtig, aber allein schon wegen ihrer beträchtlichen Einfalt keinesfalls Heilige sein könnten, für welche sie aber von der Schiffsbesatzung und vielen Menschen am Seeufer gehalten worden sind.
Plötzlich sieht er, wie sich jemand dem Schiff nähert. Nach einer kurzen Weile merkt er, dass es die betreffenden drei Männer sind, die …trockenen Fußes über Wasser gehen und dem Mönch leicht aufgeregt und wissbegierig die Frage zurufen, wie genau denn das Vaterunser nach der zweiten oder dritten Bitte weiter gehe, denn sie hätten sich dessen genauen Wortlaut nicht genau merken können. Der Mönch ist zunächst kurz erstarrt ob dessen, was er da sieht, und macht dann voll Ergriffenheit das Kreuzzeichen. Er betet mit Blick nach oben und anerkennt in Demut vor Gott, dass es sich bei diesen drei Männern anscheinend doch um wirkliche Heilige handelt, wenn sie schon wie Jesus über Wasser gehen können (vgl. Mt 14,24-33).
■ Was setzen wir praktisch wie selbstverständlich bei einem jeden Katholiken voraus, um ihn wenigstens für einen halbwegs frommen Christen zu halten? Sicher auch ein mindestens gewisses Grundwissen in Glaubensfragen. Jedes katholische Kind, welches auf die Erstkommunion vorbereitet wird, muss in jedem Fall die Zehn Gebote Gottes, die Fünf Gebote der Kirche, die Sieben Sakramente kennen bzw. sich in deren elementarer Bedeutung auskennen.
Umso mehr verlangt man ein solches Wissen von einem Jugendlichen, der das Sakrament der Firmung empfangen will, geschweige denn von einem Erwachsenen. Denn z.B. ein erwachsener katholischer Christ, der nicht das elementare Wissen um den Glauben besitzt, gerät praktisch automatisch und somit auch ohne böse Absicht unsererseits unter Verdacht, ein eher lauer Christ zu sein.
Ebenso erwartet man, dass ein ganz bewusst nach Heiligung des eigenen Lebenswandels strebender Katholik sich halbwegs auch in der Vielfalt der verschiedenen Gebete auskennt bzw. sie auch im eigenen Gebetsleben anwendet. Denn jemand, der nicht einmal das Vaterunser und das Ave Maria richtig aufsagen kann, macht auf uns ebenfalls nicht den Eindruck eines Menschen, der eine tiefe Gottesbeziehung unterhalten oder ein reiches geistliches Leben führen würde.
Ja, ein profundes Wissen der Glaubenswahrheiten ist z.B. für einen katholischen Priester praktisch zwingend erforderlich. Darüber hinaus sollte er nach klaren Anweisungen der katholischen Kirche möglichst auch die intellektuelle und rhetorische Fähigkeit besitzen, sie aktiv gegen die irr- oder ungläubigen Argumente der Gegner der katholischen Kirche zu verteidigen. Denn ein ungebildeter Klerus steht der Kirche nie gut zu Gesicht, weil er es den Glaubens- und Kirchengegnern besonders leicht macht, das Volk vom gesunden Glauben abzubringen und zu ihren Irrlehren zu verführen! So stellt eine ordentliche und systematische theologische Bildung eines angehenden Priesters nicht nur formal eine der wesentlichen Bedingungen für den Erhalt der Priesterweihe dar, sondern hilft der Kirche sehr in ihrer ihr von Christus aufgetragenen missionarischen Tätigkeit, die Menschen zum Licht des Evangeliums zu führen, wozu ja auch die mündliche und schriftliche Verkündigung gehört!
Diese Geschichte mit den drei Männern auf der Insel zeigt uns aber auch auf, dass dieses ganze Wissen um den Glauben und die Vielfalt der Gebete eigentlich nur dann viel bringt und sowohl dem jeweiligen einzelnen Verkünder des Evangeliums als auch der Kirche insgesamt großen geistigen Nutzen bringt, wenn dazu auch noch die Haltung einer aufrichtig-sten Demut vor Gott und der ehrlichen Bescheidenheit vor den Menschen hinzukommt! Wie das Salz der Suppe Geschmack verleiht, so „würzt“ auch die eigene Demutshaltung alle unsere sonstigen Bemühungen. Denn „Er verwirft die Herzen voll Hochmut, Gewalthaber stürzt Er vom Thron, Niedrige hebt Er empor, Hungrige erfüllt Er mit Gütern“. (Lk 1,52f.)
Denn diese drei Männer hatten lediglich das minimalste Wissen um die Glaubensinhalte und kannten auch nur ein einziges Gebet, welches zudem auch noch insofern als missverständlich klingend aufgefasst werden kann, dass man es eventuell auch im Sinn einer Irrlehre auffassen könnte (als ob es nämlich drei Götter gäbe). Aber ihre abgrundtiefe Demut war so echt und kristallrein, dass sie den bei ihnen bestehenden Mangel an den angesprochenen anderen wichtigen Komponenten des Glaubenslebens nicht nur kompensierte, sondern sie innerlich in die ganz besondere Nähe zu Jesus Christus brachte!
Das ganz Besondere an der Glaubenshaltung dieser drei Männer besteht ja darin, dass sie in ihrer Grundehrlichkeit vor Gott und zu sich selbst auch ohne einen jeglichen noch so geringen inneren Widerstand die kritischen Worte jenes Mönchs angenommen und akzeptiert haben, sie würden nicht genug über den Glauben wissen und nicht einmal das Vaterunser kennen. Sie nahmen dann auch gern die betreffenden Unterweisungen an, ohne dabei auch nur die geringste Kränkung zu empfinden, man würde sie für ungebildet und sogar für primitiv halten. Keine Spur also von einem wie auch immer gearteten menschlichen Stolz!
Und als ob das immer noch nicht genug wäre, haben sie sich überhaupt nichts, nicht einmal ein Klitze-Kleinwenig, darauf eingebildet, dass sie nämlich trockenen Fußes über Wasser gehen konnten! Sie rannten über Wasser zum Schifflein und waren ausschließlich darauf bedacht, den Wortlaut des Vaterunsers richtig zu lernen. Ihre Demut vor Gott war so abgrundtief ehrlich, dass sie offensichtlich auch nicht einmal realisiert haben, ihr Gehen über Wasser sei ein Wunder. So sehr waren sie positiv in der Realität Gottes „gefangen“ und haben viel und in vollkommen richtiger Weise um Erbarmen für sich und die anderen Menschen gebetet, dass sie offensichtlich vielen menschlichen Eitelkeiten, die unser Leben stark vergiften, aus dem Weg gehen konnten.
Somit haben sowohl ihre Glaubenshaltung als auch das einfache Gebet alle essentiellen Elemente enthalten, um sich Gott in Demut zuzuwenden und Ihn um das Entscheidende zu bitten: „Ihr drei, wir drei – Herr, erbarme Dich unser!“ Wird denn nicht gerade dann der entscheidende geistige Schritt nach vorne getan, wenn ein Mensch mit Hilfe der heiligenden Gnade Gottes der Versuchung des Stolzes erfolgreich widersteht?
■ Der Weg zur Heiligkeit bzw. der Heiligung des eigenen Lebens besteht primär wohl in der konsequenten Abtötung der selbstsüchtigen Überheblichkeit und arroganten Überschätzung der eigenen Person und Bedeutung. Wie oft fühlen wir in uns die Kränkung, wenn uns jemand auf einen etwaigen Mangel im Wissen oder in unserem logischen Denken anspricht? Statt zunächst einmal sachlich zuzuhören, regt sich in uns die Empörung darüber, dass jemand etwas besser weiß oder kann als man selbst. So lernt man weder etwas Sinnvolles und Nützliches hinzu noch macht einen Schritt vorwärts im geistlichen Leben mit Gott.
Und wie sehr fühlen wir uns geschmeichelt, wenn wir Worte der Anerkennung und des Lobes hören? Sicher darf sich auch ein Jünger Jesu über anerkennende Worte freuen, sofern sie natürlich auf der einen Seite seinen Eifer für das Gute und Richtige anfeuern und auf der anderen Seite seine Ehrfurcht vor Gott bzw. seine Dankbarkeit für die ihm erteilte Gnade Gottes wachsen lassen. Unser Problem ist aber, dass wir stattdessen viel zu oft anfangen, uns selbst etwas zuzuschreiben bzw. uns in selbstsüchtiger Weise für groß und wichtig zu halten.
Ein heiligmäßiger Christ bringt es fertig, sich über das Gelingen einer eigenen Tat der Gottes- und/oder Nächstenliebe zu freuen, ohne dabei gierig auf die Anerkennung durch andere zu warten geschweige denn sie aktiv herbeizuführen. Er schreibt alle seine Fähigkeiten wirklich ehrlich Gott als der Quelle der Gnade zu und, sollte er einmal darüber auch reden (müssen), muss er sich dabei nicht im Geringsten irgendwie verstellen, um sich bescheiden zu verhalten.
Somit strebt er danach, seine innige Verwurzelung in Gott weder durch Lob noch durch Tadel zu verlassen und dabei gewissermaßen den Toten auf dem Friedhof nachzueifern, die sich ja weder bei lobenden noch bei tadelnden Kommentaren in ihre Richtung in ihrem Angekommen-Sein in der Ewigkeit gestört fühlen!
Ebenfalls strebt ein Jünger Jesu danach, sich nicht in selbstsüchtiger Weise mit anderen Menschen zu messen und zu vergleichen, sondern die entsprechenden Erfolge anderer Menschen sowohl innerlich anzuerkennen als auch gern nach außen zu bekennen. Denn er soll ja allein daran interessiert sein, selbst den Willen Gottes zu erfüllen und in Seinem Frieden zu leben!
Ein solches Denken und Empfinden hat dann auch entscheidende positive Auswirkung auf die geistige Effektivität unseres Gebetes, die meistens verborgen bleibt und nur Gott bekannt ist. Treten wir in die entsprechende Schule der Heiligen ein und möge uns dabei die ergreifende geistige Haltung dieser drei Männer helfen, die in ihrer edlen und entwaffnenden Wahrhaftigkeit vor Gott und den Menschen auf das Wesentliche fokussiert waren und somit mit ihrem schlichten Gebet besonders viel Gnade Gottes auf die Erde herabrufen konnten: „Ihr drei, wir drei – Herr, erbarme Dich unser!“

P. Eugen Rissling

 

 

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